Dies ist ein Gedicht meines Bruders.
Er war ein ganz großes Talent und ein großartiger Mensch.
Er nahm sich mit 35 Jahren das Leben.
Ich habe nichts von ihm außer diesem Gedicht, was ich am Tag vor seiner Beerdigung auf seinem Schreibtisch fand, handgeschrieben.
Es soll hier bei mir, auf meiner Homepage stehen. Hier soll mein Bruder mit seinem vermeintlich letzten Gedicht das bekommen, was er nie erleben durfte: ein Zuhause.
Augenblick
Wenn Du Dich öffnest
gibst Du mir Augen
die Wissen sanfter machen.
Um uns das Schwirren
vom Zeitwind gewirbelter Bilder
wortlos gleiten wir
auf uns zu.
Für Augenblicke gewährst Du
dem Traumflüchtling Asyl
in der Wahrheit beider,
verbirgst ihn vor den Häschern
des Eindeutigen.
Manchmal zaubert Dein Blick
ein Stück Vergessen aus mir
pastellfarbene Tupfer
in Deinen Augen
tanzen lächelnd durch mein Versteck.
Nicht reißt Iris
Masken ab
Wahrheit liegt ihr
allein im Tanz
dem Traumbruder des Selbst.
Versprechlich spannst Du
Bögen weicher Farben
um mich
malst Streifen der Hoffnung
in die trüben Horizonte
des Erlebten.
Dein Auge lädt ein
die Schmerzen des ersten Gesichts
nicht aufzusparen
im Trotz des Wissens
das mich verschweigt
Prismentänze des Herzens!
Mit Fieber im Lidschlag
wächst ein Schrecken der Freude
in gläsernen Körpern.
Auch Du weißt darum
das Gesicht des Traumes
wirklich zu versuchen.
Feine Perlen der Duldung
silbrige Scheu
zwischen Deinen Wimpern.
In mir steigt ein Schmerz auf
dessen Herkunft
ich vergaß...
Manfred Schild (1956 - 1992)